- griechische Religion.
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Die griechische Religion entstand in der 2. Hälfte des 2. Jahrtausend v. Chr. bei den Ioniern und Achaiern-Äoliern, als sie sich nach der Einwanderung aus dem Norden in der 1. Hälfte des 2. Jahrtausend mit der mediterranen Urbevölkerung vermischt hatten (Griechenland, Geschichte). Der Kult der auf Kreta und dem Festland bereits in vorindogermanischer Zeit verehrten göttlichen Wesen lebte bis weit in die historische Zeit fort. Deshalb enthält die griechische Religion, wie die Namen der im Kult verehrten und im Mythos erwähnten Götter und Heroen zeigen (griechische Sprache), viele nichtindogermanische Elemente.Die Träger der in enger Verbindung mit der minoischen Kultur stehenden mykenischen Kultur waren Griechen. Sicher ist, dass sie den Kult des Herdes mitbrachten (wie die Verehrung der Göttin Hestia zeigt). Auch Zeus, der Wettergott und göttliche Hausvater, wurde von den Griechen schon vor ihrer Einwanderung verehrt. Aus solchen Grundelementen entstand in Auseinandersetzung und unter Aneignung von Zügen der minoischen Religion die Religion der mykenischen Zeit. So kann man bei Athene die Umwandlung der minoischen Palastgöttin in die kriegerische Schutzgöttin der mykenischen Herren feststellen. Die Hauptschöpfung der frühen mykenischen Religion wird im patriarchalischen Götterstaat gesehen, für den sicher die politischen Verhältnisse jener Zeit Vorbild waren. Daneben bestand ein ausgeprägter Toten- und Ahnenkult, aus dem sich der Heroenkult entwickelte. Damals wurde auch der Grundstock der griechischen Mythologie geschaffen. Hesiod brachte sie später in eine genealogische Ordnung: Uranos und Gaia galten als Eltern der zwölf Titanen; zu diesen gehörten Kronos und Rhea, deren Kinder (und Enkel) als die olympischen Götter verehrt wurden: Zeus und Hera, Poseidon und Hades, Demeter und Hestia, ferner als Kinder des Zeus Athene, Apoll, Artemis, Hermes, Ares und Dionysos, nach Homer auch Aphrodite und Hephaistos. Die Heroen wurden als Nachkommen dieser Götter angesehen.Archaische und klassische Zeit:Die Religion in der Blütezeit der griechischen Kultur war wesentlich Kult und Religion des Stadtstaates. Sie kannte weder ein festes Dogma noch Glaubenssätze irgendwelcher Art. Auch war in ihr keine Spannung zwischen den Prinzipien des Guten und des Bösen angelegt; wohl aber wurden Warnungen vor der Hybris, dem Wahn, sich den Göttern gleich zu dünken (was den Neid der Götter, ihren Unwillen und die Nemesis, d. h. die Rache für den Frevel, hervorruft), ausgesprochen. Die olympischen Götter verkörperten das Prinzip der Ordnung und der Kultur gegenüber dem Chaos; es gab jedoch keinen einheitlichen, festen Gottesbegriff; auch die einzelnen Götter waren in ihrem Wesen äußerst verschieden. Allen gemeinsam war jedoch, dass sie konsequent anthropomorph in Gestalt und Verhalten gedacht wurden, zugleich jedoch als die »Unsterblichen«, »Seligen« und »Stärkeren« galten: In ihren jeweiligen Bereichen greifen sie in die Geschicke der Menschen ein, ordnend, manchmal streng und Furcht erregend, meist freundlich und wohlwollend, ganz selten übel wollend. Ihrem Wesen nach war die griechische Religion eine echte Volksreligion, die primär nicht von Einzelnen, sondern von Gemeinschaften getragen, d. h. praktiziert wurde. Einen einheitlich organisierten Priesterstand gab es nicht. In jeder Stadt wurden zahlreiche Götter und Heroen mit jeweils anderen Kulten und Festen verehrt. Neben den großen Göttern, die lokal besondere Eigenschaften und Kultbeinamen besaßen, standen die Lokalgötter und Landesheroen; von diesen hatte nur Herakles überall in Griechenland seinen Kult. Die Kulthandlungen selbst (Reinigung, Opfer, Gebet, Weihungen) waren äußerst mannigfaltig. Die olympischen Götter erhielten in der Regel Speiseopfer, bei denen die Teilnehmer den größten Teil des Opfertieres selbst verzehrten, für die unterirdischen Götter dagegen wurde das Opfer ganz verbrannt. Vereinheitlichend in dieser Vielgestaltigkeit der griechischen Religion wirkten das homerische Epos (Homer), die Theogonie des Hesiod, das Orakel des Apoll in Delphi, die großen Festspiele in Olympia, Delphi, am Isthmus von Korinth und in Nemea und v. a. die Mysterien der Demeter, später die des Dionysos, und seit dem 6. Jahrhundert die Orphik. Die Mysterien versprachen dem Einzelnen Vereinigung mit der Gottheit und ein seliges Leben im Jenseits. - Eine Neuschöpfung der hellenistischen Zeit war der Herrscherkult.Fremde Gottheiten:Wie jede polytheistische Religion nahm auch die griechische Religion viele fremde Gottheiten auf: aus Kleinasien Kybele (die Große Mutter) und Sabazios, aus Ägypten Ammon, aus Thrakien Bendis, aus Samothrake die Kabiren, aus dem Orient Adonis. Mit der Bildung der Diadochenreiche verstärkte sich der Einfluss des Orients erneut, und nach der Einverleibung Griechenlands ins Römische Reich ging die griechische Religion in den Religionen des Römischen Reiches auf. Aus Ägypten wurden Sarapis, Isis, Osiris, Anubis, Horus u. a., aus Phrygien noch einmal Kybele (mit stärker orientalischen Zügen) und der mit ihr verbundene Attis übernommen, ferner syrische Gottheiten wie Jupiter Dolichenus, Dea Syria und Sol Invictus, v. a. aber auch der iranische Mithras. Astrologie und Gestirnkult fanden weite Verbreitung. Der wissenschaftlichen Erschließung der griechischen Religion wie der griechischen Mythologie dienen neben den literarischen Quellen das ethnographisch-völkerkundliche Vergleichsmaterial und die Ergebnisse von Archäologie, Vorgeschichts- und Sprachforschung.R. Reitzenstein: Die hellenist. Mysterienreligionen nach ihren Grundgedanken u. Wirkungen (31927, Nachdr. 1980);L. Deubner: Att. Feste (31969);W. Pötscher: Strukturprobleme der Aristotel. und Theophrast. Gottesvorstellung (Leiden 1970);H. Walter: Griech. Götter (1971);W. Burkert: Homo necans. Interpretation altgriech. Opferriten u. Mythen (1972);W. Burkert: G. R. der archaischen u. klass. Epoche (1977);W. Burkert: Die orientalisierende Epoche in der g. R. u. Lit. (1984);B. C. Dietrich: The origins of Greek religion (Berlin 1974);M. P. Nilsson: Gesch. der g. R., in: Hb. der Altertumswiss., begr. v. Iwan von Müller, Abt. V, Bd. 2, Tl. 1 (Nachdr. 1976);W. Schadewaldt: Der Gott von Delphi u. die Humanitätsidee (1975);K. Albert: G. R. u. platon. Philosophie (1980);H. Schwabl: Vom Wandel des Gottesbildes im alten Griechenland, in: Wiener Studien, N. F. Jg. 19 (Wien 1985);E. Simon: Die Götter der Griechen (31985);C. J. Classen: Schöpfergott oder Weltordner. Zu den Gottesvorstellungen der Griechen von Homer bis Platon, in: C. J. Classen: Ansätze. Beitr. zum Verständnis der frühgriech. Philosophie (1986);S. Marinatos: Kreta, Thera u. das myken. Hellas (Neuausg. 1986);H. W. Parke: Athen. Feste (a. d. Engl., 1987);W. F. Otto: Die Götter Griechenlands (81987);W. F. Otto: Theophania. Der Geist der altgriech. Religion (31993);R. Merkelbach: Isis regina - Zeus Sarapis. Die griechisch-ägypt. Religion nach den Quellen dargestellt (1995).
Universal-Lexikon. 2012.